Einer meiner Kunden ist die hannoversche Niederlassung einer Aktiengesellschaft aus dem Finanzsektor mit Krawattenpflicht, dunklen Anzügen und Kundenschalter. Als ich den Job übernahm und die Facebook-Fans des Finanzdienstleisters wie selbstverständlich mit »du« ansprach, erntete ich ein Krisengespräch.
Die Situation in diesem Gespräch war ausgesprochen unangenehm: Am großen Konferenztisch saßen drei Personen in Anzügen – der Social-Media-Verantwortliche und der oberste Chef der Niederlassung auf der einen Seite, ich auf der anderen. Draußen war es heiß, die Klimaanlage lief erst seit wenigen Minuten, ich schwitzte. »Unsere Kunden werden mit ›Sie‹ angesprochen«, wurde ich angewiesen. Ende der Diskussion.
Ich greife das Thema auf, weil fast jedes Unternehmen, das erstmals einen professionellen Social-Media-Auftritt plant und sich strategische Gedanken über seine Online-Kommunikation macht, vor genau dieser Fragestellung steht. Schauen Sie sich die Facebook-Seiten, Twitter-Accounts, Blogs und sonstigen Social-Media-Auftritte der verschiedenen deutschen Unternehmen an, so stellt man fest:
- manchmal wird durchgängig geduzt,
- manchmal wird durchgängig gesiezt,
- manchmal wird eine Mischung aus beidem betrieben.
In einem früheren beruflichen Leben war ich Grafikdesigner und unterstützte Unternehmen bei ihrer visuellen Kommunikation – ich entwickelte Corporate Designs, Kundenzeitschriften und ähnliches. Doch schon damals unterhielt ich ein Corporate Blog und betrieb ein einfaches Content Marketing. In dieser Zeit verfasste ich meine Blog-Artikel im Blog-typischen »du«-Stil. Doch 2010 kehrte ich mit meiner Agentur »pflüger : kreativ ackern.« zum »Sie« zurück. Der Grund dafür war rein wirtschaftlich: Ich entdeckte ein anderes Publikum, eine andere Klientel für mich, und das ließ sich lieber siezen als duzen. Dabei ist es geblieben, obwohl ich schon seit 2012 überwiegend und seit 2014 ausschließlich im Social-Media-Marketing unterwegs bin und nun meine Kunden in diesem Bereich strategisch berate und schule.
Wenige Jahre später, im August 2015, entschieden sich meine Kollegen von b2n Social Media Services aus Bremen, nunmehr durchgehend zu duzen – auf Twitter, Facebook, im Blog und auf der Website. Nachzulesen ist die Begründung im Blogpost »Warum wir ab sofort duzen«. Auch der bekannte YouTuber Rezo plädiert in seiner Kolumne bei der ZEIT mit einigem Nachdruck und ziemlich guten Argumenten für ein durchgängiges »du« auf Social Media – weil das »Sie« in diesen Online-Kanälen fundamental respektlos sei. (Wirklich lesenswert!)
Doch möchte ich Rezo und den Kollegen von b2n trotz guter Argumente vorsichtig widersprechen. Ich selber sage mal du oder auch mal Sie – abhängig von der Plattform. Auf Twitter, Facebook und Instagram duze ich meine Follower. Auf XING, LinkedIn, in diesem Blog, in dem Sie gerade lesen, in meinem Newsletter und auf der gesamten Website sieze ich Sie hingegen.
Haben Sie eine Frage zu Social-Media-Marketing?
Buchen Sie jetzt Ihren Videocall mit Social-Media-Berater Gero Pflüger!Verwirrung total – was ist denn nun richtig? Duzen? Siezen? Halb-und-halb? Meine Antwort darauf lautet: Es gibt keine allgemeinverbindliche Lösung. Aber es gibt einige Punkte, die Sie beachten können, wenn Sie vor der Entscheidung stehen, ob Sie künftig du oder Sie sagen.
1. Du oder Sie: Spielregeln der Plattform beachten
Jede Social-Media-Plattform hat ihre eigenen Regeln des Umgangs, eine eigene Kommunikationskultur der Mitglieder. Diese Regeln sind oftmals einfach so im Laufe der Zeit entstanden, haben aber auch damit zu tun, wie die Plattform seine Nutzer selber anspricht. XING etwa siezt seine Nutzer, Facebook hingegen duzt jeden.
Die größte Social-Media-Plattform der Welt ist nicht so groß geworden, weil die Menschen formal korrekt miteinander umgegangen sind. Nein: Es ging von Anfang an um Privates, und das gilt bis heute. Facebook-Nutzer gehen nicht auf Facebook, um Werbebotschaften von Unternehmen zu erhalten – sie wollen mit ihren Freunden und Familienmitgliedern in Kontakt treten und an ihrem Leben teilhaben, und sie wollen unterhalten werden. Natürlich lassen sie auch ab und zu einmal eine Werbebotschaft über sich ergehen. Die allerdings können sie wesentlich besser ertragen, wenn sie kaum als Werbebotschaft auffallen, sondern eher wie Product Placement wirken – also wie ganz normale Facebook-Beiträge. Daher ist es sinnvoll, auf Facebook die Anrede zu nehmen, die jeder benutzt und auch jeder erwartet: du.
LinkedIn und XING
Die beiden Business-Netzwerke XING und LinkedIn sind ganz klare Domänen für das formale Sie. Das gilt natürlich nicht, wenn Ihr Gesprächspartner und Sie sich bereits anderswo auf du geeinigt haben.
Wer auf Twitter siezt, macht sich irgendwie verdächtig. So steif geht es da einfach nicht zu. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass das Wort »Sie« einen ganzen Buchstaben mehr als das schlichte »du« umfasst – auf Twitter zählte mit seinem ursprünglichen 140-Zeichen-Limit (mittlerweile sind es längst 280) jedes Zeichen. Auch schafft das »Sie« eine psychologische Distanz, die bei 280 intimen Zeichen einfach nicht angebracht erscheint.
Instagram ist die Plattform der Millennials, also der zwischen 1980 und 1999 Geborenen (auch Generation Y genannt). In spätestens dieser Generation wird so gut wie gar nicht mehr gesiezt, schon gar nicht im Internet. Beim stark wachsenden Bilderdienst aus dem Facebook-Konzern wird daher eindeutig geduzt. Ein Sie fiele wie schon bei Twitter komplett negativ aus dem Rahmen.
Corporate Blogs
Auf Ihrem Blog legen Sie selber die Spielregeln fest; daher sollten Sie für die Frage, ob Sie auf Ihrem Blog du oder Sie sagen, bei Punkt 2 weiterlesen.
Snapchat und TikTok
Die beiden Apps richten sich an die Generation Z, also an Menschen, die zwischen 2000 und 2019 geboren sind. Da schon ihre Vorgängergeneration, die Millennials, untereinander kaum noch Wert auf Formalitäten haben, wird hier selbstverständlich geduzt.
Unternehmenswebsite
Die normale Internet-Präsenz hat gegenüber einem Corporate Blog einen eher offiziellen Charakter, daher wird hier meistens gesiezt. Der Ausnahmefall tritt immer dann ein, wenn das Unternehmen sich entweder als besonders lässig präsentieren will (was es meist nicht ist) oder sich mit seinem Angebot vornehmlich an Millennials oder Angehörige der Gen Z richtet.
Sonderfall Chats
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten auf Facebook oder Twitter, wo Sie im Allgemeinen du sagen, per persönlicher Nachricht die wutentbrannte Reklamation eines Kunden: »Eure Wassermelonen schmecken nicht!! Und dafür habe ich 6 Euro bezahlt!! Schweinerei!« Wie sprechen Sie ihn an – mit du oder Sie? Entweder reagieren Sie mit der gleichen Anrede. Doch das kann provozierend wirken, weil – wie in diesem Fall – das »euer« nicht als Anrede, sondern als verallgemeinernder Vorwurf aufzufassen ist. Ein du kann hier zu flapsig wirken und den Reklamierenden erst recht auf die Palme bringen. Fragen Sie sich also daher, welche Anrede Sie benutzen würden, wenn der Mensch in diesem Moment direkt vor Ihnen stünde und das exakt selbe sagte. Ein Sie schafft hier gelegentlich die nötige Distanz, um den wutschnaubenden Kunden zunächst einmal zu beruhigen und ihn auf ein normales, kommunikatives Miteinander einzustellen.
2. Sie oder du: Erwartung der Zielgruppe
Neben den Spielregeln der einzelnen Plattformen gilt es auch noch, die Erwartungen Ihrer adressierten Leserschaft punktgenau zu treffen. Besitzen Sie einen Head Shop oder einen Skateboard-Laden, wäre es unüblich, Ihre Klientel zu siezen. Hier ist das Du ganz normal – und zwar auf jedem genutzten Kanal (Ausnahme: XING und LinkedIn, doch die werden vermutlich ohnehin nicht im Social-Media-Mix auftauchen). Als Finanzmakler kann es sinnvoll sein, seine Fans auf Facebook grundsätzlich zu duzen, wenn Sie aber in direkte Kommunikation eintreten – auch in Kommentaren – auf Sie zu schalten. Das ist dann gelegentlich eine Momententscheidung.
Und so kommen Sie sehr schnell – wie ich – dazu, du oder Sie zu mischen. Denn der Mensch bleibt derselbe – doch je nach Plattform ist seine Erwartungshaltung in der Kommunikation eine andere.
Das Zwiebelmodell
Gerne vergleiche ich im Kundengespräch das ganze Problem und seine Lösung mit einer Zwiebel: Je weiter ein Kommunikationskanal weg vom eigentlichen Geschäftsgeschehen ist, desto anonymer ist der Kontakt noch und desto eher kann geduzt werden.
In meinem Zwiebelmodell liegt Twitter mit seinen knappen Botschaften ganz außen, direkt gefolgt von der ersten Schicht, die Facebook darstellt. Auf der Firmen-Website, am Telefon und beim persönlichen Treffen wird dann selbstverständlich das formellere Sie genutzt. Wir haben da mal eine kleine Infografik für Sie vorbereitet:

Natürlich sind in dieser Infografik nicht sämtliche der möglichen Kanäle enthalten; neben Instagram, Snapchat etc. fehlen auch Newsletter und viele andere Kommunikationskanäle des Marketings – Social-Media-Anzeigen zum Beispiel. Grundsätzlich aber gilt: Je eher ein Kommunikationskanal zur Conversion (dem Geschäftsabschluss) führt, desto eher sollten Sie bereit sein, zu siezen.
Fazit: Du oder Sie auf Social Media
Ich finde: Wie auch Ihre Garderobe zum Anlass passen sollte, so sollten Sie immer vor allem anlassbezogen kommunizieren. Wenn Sie Ihre Social-Media-Strategie als Teil Ihres Kommunikationsprozesses festlegen, entscheiden Sie unter Beachtung der jeweiligen Gepflogenheiten, welche Anrede Sie grundsätzlich auf einer definierten Plattform nutzen möchten – und weichen Sie davon gegebenenfalls im Einzelfall ab. Ob du oder Sie ist letztendlich keine Frage Ihres allgemeinen Verhaltens, wenn Sie jemanden live vor sich haben, sondern eine Frage der Plattform und der dortigen Kommunikationskultur.
Übrigens: Die Fans der eingangs erwähnten Facebook-Seite des Finanzdienstleisters werden wieder geduzt – nachdem durch das Siezen die Fan-Aktivität rapide in den Keller ging, hat mein Kunde selbstkritisch seine Anweisung korrigiert. Und lässt mich seither einfach machen.
Haben Sie eine Frage zu Social-Media-Marketing?
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Dieser Beitrag erschien erstmals im September 2015 und wurde seither 4x aktualisiert.
Foto: © Martinan – Fotolia.com
Gero Pflüger ist Social-Media-Berater aus Hannover. Er berät Unternehmen aus ganz Deutschland zu Social Media und Content Marketing, führt bundesweit Workshops und Schulungen durch und hält Vorträge und Seminare. Außerdem unterstützt er seine Kunden auch bei operativen Tätigkeiten im Social Web.
Moin,
danke für die Erwähnung. Das Thema scheint ja richtig rumzugehen.
Lieben Gruß
Tristan
Es scheint auch ein wichtiges Thema zu sein, denn der Artikel ist innerhalb von 24 Stunden häufiger geteilt worden als manch anderer in Wochen.
Du Gero…was ist eine Krawatte? :))
Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie klargestellt haben, daß ich kein Unternehmensaccount bin. In der Tat hatte ich gerade mehr Anfragen, als mit einer einzigen Axt abarbeiten konnte <3
Axtmörder übernehmen typischerweise keine Auftragsmorde. Sollten Sie sich jedoch zu einem späteren Zeitpunkt umentscheiden und aus Ihrer Obsession eine Profession machen wollen, bin ich Ihnen gerne bei der Entwicklung einer entsprechenden Social-Media-Strategie behilflich. ;o)
Mittlerweile finde ich diese „Duzen-oder-Siezen“-Diskussion reichlich kompliziert.
Damit lenkt sie von einem (zumindest für mich) elementaren Element ab: Dem Respekt.
Sowohl privat als auch beruflich als auch dienstlich finde ich Duzen oder Siezen sehr nachrangig. Wichtiger ist, daß ich als Mensch respektiert und ernstgenommen werde.
Insofern bin ich auf persönlicher Ebene schon eher dem IKEA-Prinzip zugeneigt, während ich es für Blödsinn halte, das eine oder andere per Management-Dekret zu erzwingen.
Bei Menschen, zu denen ich einen Draht habe, und bei denen der Nasenfaktor paßt, bin ich relativ schnell beim Du.
Und wer mich auf Twitter duzt, darf das selbstverständlich auch in Analogen Situationen oder auf Xing, sofern er/sie das möchte.
Alles andere fände ich nicht authentisch, und hätte dabei auch ein sehr seltsames Gefühl.
Diesen Beitrag sollen sich mal alle NLP-Sprachhypnotiker hinter die Löffel schreiben. Danke für diesen Beitrag
»NLP-Sprachhypnotiker« ?? Danke für diese super Wortschöpfung!
Ich meine, dass die Erwartung der Zielgruppe die alleinige Messlatte sein sollte. Am Beispiel facebook: fb wurde von Studenten & Co. für Stunden & Co konzipiert. Damals. Auf facebook aktiv sind derzeit die Generationen X und älter. Also die Menschen, die in Deutschland eine bestimmte Sozialisierung hinter sich haben. Die Sozialisierung nämlich, dass man das Du erst anbietet und nicht direkt damit loslegt, wildfremde Menschen zu duzen. Die Empfehlung weiter oben bezüglich facebook („Die allerdings ertragen sie wesentlich besser, wenn sie kaum als Werbebotschaft auffällt …“) ist – sorry für meine Direktheit – eine Aufforderung zur Manipulation. Diese Variante mag bei jungen Leuten funktionieren, aber bei älteren Menschen wohl eher nicht. Wenn ich (50J) von einem Unbekannten und dem Anschein nach aus meiner Generation mit Du und eine getarnte Werbebotschaft angesprochen werden – und vielleicht sogar getoppt durch die Anrede „Lieber“ – dann schreit es förmlich nach versuchter Manipulation. Die Person hat absolut keine Chance bei mir. Und weil mich das Thema sehr interessiert, frage ich Freunde, Bekannte und Geschäftspartner auf Off-Veranstaltungen gerne danach was sie empfinden wenn sie von Fremden geduzt werden und ich weiß daher: Ich bin mit dieser Einstellung weiß Gott nicht allein.
Ich als Anbieter auf fb halte es so und mache recht gute Erfahrungen damit: Wenn ich etwas verkaufen will, dann möchte ich keinen Zweifel daran lassen, dass es so ist. Ich brauche meine Absicht nicht zu tarnen, weil ich überzeugt bin, dass mein Produkt gut ist und einen Mehrwert stiftet. Und am liebsten sieze ich erwachsene Menschen, die ich nicht kenne. Einzige Ausnahme: Bei Diskussionen in Gruppen beuge ich mich (gelegentlich) dem Gruppen-Du-Zwang.
Ich glaube das kommt stark auf die Branche und Zielgruppe an.
Ein privater Blog ist auch noch etwas anders als ein Firmenblog.
Pauschal würde ich daher nicht sagen ein „Du“ oder „Sie“ ist besser. Eher „es kommt darauf an“.
Geschäftskunden werden immer bevorzugt mit dem Sie angesprochen. Den durchschnittlichen Leser eines Privatblogs würde ich eher Duzen.
Viele Grüße
Ronny